Projekte zum IBRP und seiner Anwendung
- Entwicklung eines Curriculums zur IBRP-Schulung in Mecklenburg Vorpommern: 2000 bis Januar 2001
- IBRP-Schulungen: 2001 bis 2003
- Projekt IBRP-MV: “Hilfeplanung mit dem IBRP für chronisch Suchtkranke in Mecklenburg-Vorpommern”: Oktober 2005 bis Dezember 2006
Projektleitung:
Prof. Dr. Ingmar Steinhart
Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen:
Dipl. Heilpäd. Christina Nerlich
Dipl. SozPäd. Stefan Paulaeck
Herr Thomas Utermark
Inhalte und Verlauf des Projektes:
In den vergangenen Jahren ist der Integrierte Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) in Mecklenburg-Vorpommern als Hilfeplanungsinstrument flächendeckend eingeführt worden. Er gehört heute zum Standard der Hilfeplanung für erwachsene psychisch Kranke, insbesondere für so genannte chronisch Kranke und Leistungen aus dem SGB XII. In Mecklenburg-Vorpommern hat man sich zunächst darauf verständigt, mit einer Erprobung in der Erwachsenenpsychiatrie zu beginnen primär bezogen auf Leistungen aus dem SGB XII. Diese Phase der Einführung kann als erfolgreich abgeschlossen betrachtet werden, auch wenn in der Anwendung landesweit noch nicht überall die angestrebte Qualität erreicht ist. Unklar ist bisher geblieben, ob und wenn wie der IBRP verändert oder ergänzt werden muss, um auch für die Zielgruppe der chronisch Suchtkranken passfähig zu sein. Hier herrscht ein aus der Praxis subjektiv geprägtes Meinungsbild vor.
Die Anwendung des IBRP im Bereich der chronisch Suchtkranken wurde mit diesem Projekt untersucht und ein praxistauglicher Vorschlag inklusive Curriculum wurde erarbeitet.
1. Recherche:
Zu Beginn des Projektes stand eine umfassende Recherche über den landes- und bundesweiten Stand der Anwendung des IBRP im Suchtkrankenhilfebereich. Hierfür wurden Experten aus dem Bundesgebiet befragt, welche den IBRP selbst mit entwickelt haben. Ihre Empfehlungen bezogen sich auf die fachlichen, aber auch auf die formellen Aspekte einer möglichen Modifizierung des Instrumentes. Auch die Anregungen von Suchtexperten wurden aufgenommen. Darüber hinaus bildeten Gespräche mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Mecklenburg-Vorpommern, welche den IBRP bereits seit einigen Jahren im Suchthilfebereich anwenden (Stralsund, Demmin, Ribnitz-Damgarten, Rügen, Rostock), die Basis für den konkreten inhaltlichen Veränderungsbedarf. Beispiele für die Ausgestaltung des Instrumentes sollten die in anderen Bundesländern eventuell bereits entworfene modifizierte IBRPs liefern.
Insgesamt ergab die Recherche, dass der IBRP im Suchtbereich zwar oftmals verwendet wird, jedoch in keiner spezifischen “Suchtversion”. Abhängig von der administrativen Linie wird das Instrument IBRP leicht modifiziert und umbenannt, sodass nach unserer Kenntnis nirgendwo ein explizit auf die Besonderheiten der Suchtkrankenhilfe angepasstes Instrument existiert. Die modifizierten und umbenannten Werkzeuge entsprechen nach unserer Sicht überwiegend nicht den fachlichen Anforderungen an ein personenzentriertes, d.h. detailliertes und ganzheitliches Hilfeplaninstrument. Eine Ausnahme ist Bochum, wo ein -wen auch nicht als IBRP benanntes – speziell für Suchtkranke konzipierter Zusatzbogen und Übersichtsbogen entwickelt wurde, der uns gute Anregungen geben konnte.
Des Weiteren wurde das in den bundesweiten Sucht- und Drogenberatungsstellen verwendete Dokumentationssystem EBIS hinzugezogen hinsichtlich seiner Inhalte und Systematik.
2. Gemeinsam verabschiedete Vorgehensweise:
Zum Abschluss der Recherche fand ein Workshop zur Diskussion der Ergebnisse statt mit dem Ziel, ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Es wurden inhaltliche und formelle notwendige Änderungen des Instrumentes beschlossen. Die Teilnehmer waren die befragten Mitarbeiter der Einrichtungen, Vertreter des Sozialamtes, der Psychiatriekoordinator der Hansestadt Stralsund und Projektmitarbeiter des Instituts für Sozialpsychiatrie.
Erarbeiteter Veränderungsbedarf:
Die generellen Einschätzungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum IBRP sind überwiegend positiv. Insbesondere die fachlichen Grundlagen des Instrumentes werden geschätzt, wie der ganzheitliche und ressourcenorientierte Blick und die Finalität und Prozesshaftigkeit des Ansatzes. Aber auch die Transparenz, welche durch den IBRP erreicht wird bezüglich der Problemlage, der Ziele und des Vorgehens, schätzen die Mitarbeiter sehr. Der Einrichtungs- und Dienste übergreifende Austausch, welcher mittels IBRP möglich ist, ist ein weiterer positiv bemerkter Punkt.
Als spezifische, für den IBRP im Suchtbereich zu integrierende relevante Bereiche wurden gemeinsam empfohlen:
a) Die Delinquenz:
Es muss im IBRP auf die rechtliche Situation (eventuelle Straffälligkeiten, Inhaftierungen, Bewährungszeit etc.) des Klienten eingegangen werden können.
b) Die sozialmedizinischen Aspekte:
Bei einer Suchterkrankung spielen komorbide psychische, aber auch meist somatische Erkrankungen eine wichtige Rolle. Der sozialmedizinische Blickwinkel, welcher z.B. evtl. Hirnorganische Störungen berücksichtigt, sollte im IBRP mehr Raum erhalten.
c) Die Suchtanamnese:
Der IBRP sollte detailliert verschiedene Elemente der Suchtanamnese (Suchtgeschichte, Trinkverhalten, Anzahl der Entwöhnungen, Trinkanlässe etc.) mit einbeziehen.
d) Die Behandlungsmotivation:
Für die Therapieplanung und den Verlauf ist die Beachtung der Motivation des Betroffenen von großer Relevanz. Im IBRP sollte hierfür mehr Platz eingeräumt werden. Abweichende Sichtweisen des Betroffenen können so detaillierter dokumentiert werden.
Insgesamt soll eine detaillierte Veränderungsdokumentation ermöglicht werden.
Ein weiteres wichtiges Diskussionsthema war die Koordination und Kooperation der Dienste und Einrichtungen (auch Kostenträger-übergreifend) durch den IBRP. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen äußerten sich unzufrieden mit der bisherigen Praxis des Austausches mittels IBRP. Hier wurden Probleme deutlich und Möglichkeiten zur Verbesserung diskutiert.
Hinsichtlich der formellen Ausgestaltung der Bögen entschied sich die Arbeitsgruppe für die Beibehaltung eines “Rumpf-IBRP”, also gegen die Veränderung des Übersichtsbogens A1. Stattdessen sollten Änderungen in die Zusatzbögen D1 und D2 eingearbeitet werden. Dies erschien den Beteiligten als der beste Weg, den IBRP in einer einheitlichen Systematik beizubehalten und gleichzeitig detailliert die jeweiligen suchtspezifischen Bereiche im Hilfeplanungsprozess erfassen zu können. In den Zusatzbögen finden die beschlossenen relevanten Kriterien ihren optimalen Platz.
3. Entwicklung des modifizierten Instrumentes
Auf Basis des von den Experten skizzierten Änderungsbedarfs entwickelte das Institut für Sozialpsychiatrie die modifizierte Fassung des IBRP-MV. Ebenfalls wurde das Curriculum zum IBRP überarbeitet. Die neue Fassung des IBRP wurde an alle Teilnehmer des Gesprächskreises versandt, mit der Bitte, die Bögen bereits in der Praxis zu erproben und eventuell noch bestehende Mängel mitzuteilen.
4. Schulungen
An diese erste Testphase schlossen sich Schulungen für die Anwendung des Instrumentes in der Praxis an, die mit Hilfe des veränderten Curriculums in Demmin und in Stralsund mit großer Resonanz und vielen konstruktiven Anregungen zur weiteren Modifizierung des Instrumentes seitens der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Einrichtungen und Dienste durchgeführt wurden. Die Fassung des IBRP konnte nun erneut verändert und optimiert werden.
5. Erprobungsphase
Nach der erneuten Veränderung und Anpassung wurde der neue IBRP-MV in den Versorgungsregionen Stralsund, Rostock, Demmin und Nordvorpommern in der Praxis erprobt.
6. Auswertungstreffen
Bei einem Abschlussworkshop wurde mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen abschließend die bisherige Entwicklung des Projektes reflektiert und gemeinsam letzte notwendige Korrekturen in den IBRP-MV eingearbeitet. Von allen Anwesenden wurde der IBRP-MV in dieser Form als geeignetes und optimales Instrument der Hilfeplanung im Suchtbereich angesehen.
7. Fachtag
Die Ergebnisse des Projektes konnten am 02.12.2006 im Rahmen des Fachtages “Verantwortung für Chronisch Mehrfachbeeinträchtige Abhängigkeitserkrankte (CMA) in Mecklenburg-Vorpommern” vorgestellt werden. Des weiteren bot das Institut auf diesem Fachtag einen Workshop an, welcher sich auf der Basis der Rechercheergebnisse und der Erfahrungen mit dem neuen Instrument mit der Frage der optimalen personenzentrierten Versorgung für suchterkrankte Menschen befasste. Weitere Experten aus dem Bundesgebiet referierten zum Stand der Suchthilfe-Versorgung und zu beispielhaften Modellen der Behandlung und Betreuung von Menschen mit Suchterkrankung.
8. Abschluss:
Das Projekt hat erfolgreich gezeigt, dass die bereits enge Verbindung von Suchthilfe und Allgemeinpsychiatrie (hinsichtlich der häufigen Komorbidität des einzelnen Nutzers) auch ihre Entsprechung in der Verwendung eines geeigneten Hilfeplanverfahrens finden kann. Personenzentriertheit sollte sich auch in der Auflösung der künstlichen Seperation in einzelne “Klientengruppen” ausdrücken. Durch allzu verfestigte institutionelle und therapeutische Spezialisierungen werden ganzheitliche und Institutionsübergreifende Sichtweisen behindert und Personen aus einem eigentlich für sie passfähigen Hilfesystem ausgegrenzt. Der IBRP-MV leistet einen Beitrag zur engeren Vernetzung der Allgemeinpsychiatrie und der Suchtkrankenhilfe in der Weiterentwicklung der Hilfen. Gemeindeorientierte Personenorientierung kann nur gelingen, wenn innerhalb der jeweiligen Regionen die Hilfeplanung Institutions- und Hilfeempfängergruppen-übergreifend gestaltet wird.
Weiterhin wünschenswert ist vor diesem Hintergrund, dass für weitere “Nutzergruppen” der psychosozialen Hilfen im Lande ein einheitliches Hilfeplaninstrument verwendet wird (so z.B. für Menschen mit geistiger Behinderung). Die Bezeichnung des Instrumentes ist hierbei zweitrangig. Es sollte jedoch auf den Erfahrungen und Bedürfnissen aller an der Teilhabeplanung Beteiligten basieren, so wie man es für den IBRP-MV behaupten kann.
Bögen des IBRP-MV 2006 ©
Unveränderte Bögen
Veränderte Bögen
Musterfall K. K.
Veröffentlichung des Instituts für Sozialpsychiatrie M-V e. V.: